Hallo Gorch,
die ganz oben genannten Fahrzeugtypen deiner Begierde sind zwei völlig unterschiedliche FIAT-Baureihen, über die dich bisher scheinbar keiner richtig aufgeklärt hat. Dank an Bianchi 71 mit der Benennung der Fa. B&S Autotechnik in VIE, wo aber der FIAT master-head Jürgen z.Zt. in Urlaub ist. Ich versuche ihn mal zu vertreten und bringe kurz etwas Licht ins Dunkle, weil du dir das meiste Wissen um diese Fahrzeuge auch im Internet anlesen kannst
Der Fiat 600, Bauserie 100, wurde im Januar 1958 auf dem deutschen Markt eingeführt. und verfügte über zunächst 20 PS aus 633 ccm. Im August 1960 mit Einführung der Bauserie 100D hatte der auch Fiat 600D genannte schon 25 PS aus 767 ccm. Mit Produktionsbeginn der ´65 Bauserie im August 1964, ab FIN-Nr. 1.821001, sind die Türen vorne an der A-Säule angeschlagen worden und wurde so bis zum Produktionsende 1969 in Turin gebaut. Die FIAT Spa hat schon früh Lizenzen zum Bau dieses Fahrzeugtyps vergeben, wobei ich mich hier auf die europäischen Lizenzbauten von SEAT und ZASTAVA beschränken möchte.
Bei SEAT in Barcelona ist der SEAT 600D/E von 1957 bis 1973 gebaut worden. Das letzte Baujahr ist immer an dem Plastikdreieck auf der C-Säule zu erkennen. Der in Deutschland nie vertriebene 600E L Especial hatte mit gleichem Hubraum etwas mehr Leistung (28 PS). Die deutsche FIAT in Heilbronn hat von 1970 bis 1973 den spanischen SEAT 600 E importiert und hier als FIAT 770 S verkauft, also echtes badge-engineering. Der signifikanteste Unterschied in der Karosserie des SEAT 600 sind gegenüber dem FIAT 600 und ZASTAVA 600/750/850 (s.u.), die ab 1970 bei SEAT veränderten Türschlosssysteme mit Wegfall der Türgriffmulde im Türaussenblech und Verwendung der FIAT 500 Türaussengriffe mit Druckknopfbetätigung. Diese SEAT-Türen sind nicht kompatibel zu den übrigen Produktionen, ohne erheblichen Umbau der B-Säule. Also immer aufgepasst was das so an Gebrauchtteilen angeboten wird.
Der ZASTAVA 600/750/850 ist karosserieseitig eigentlich fast baugleich mit dem Fiat 600D aus Turin, bis auf fehlende Öffnung im Frontblech (Hupe), Sitzbankbefestigung hinten, verstärkte Hinterachslagerung (doppelreihiges ZZ-Lager), Teppichboden (billiger Rips anstatt Gummimatten), Warnleuchte für Handbremshebel und weitere Kleinigkeiten. Ich will mir hier nicht den Zorn der ZASTAVA-Freunde für ihren "Fico" zuziehen, aber in meiner über 40-jährigen Praxis mit den 600er Derivaten aller Länder, bis hin zu in Australien aus assambling-kits hergestellten Rechtslenlenkern, ist die Qualität der in Kragujevac (Serbien) hergestellten 600er fragwürdig, was auch teilweise mit den Teilen der osteuropäischen Zulieferbetriebe zu begründen ist. Das muss nicht auf alle Bauserien zutreffen. Der vordergründige Vorteil beim Zastava 750 ist seine lange, bis 1985 währende Bauzeit, was aber nicht gleichzusetzen ist mit besserer Qualität eines 68er FIAT 600. Ja, den ZASTAVA 850 hat es gegeben, hat aber nichts zu tun mit den linkslaufenden Motor aus dem FIAT 850, Bauserie 100 G.
Damit sind wir schon bei dem FIAT 850, Bauserie 100G, der bei FIAT einzigartige Linksläufer, die im April 1964 vorgestellt und bis 1973 gebaut worden ist. Produziert als Limousine, Coupe´(Hausfrauen-Ferrari) und als Spider (Bertone) u.a. auch bei SEAT. Ich will hier nicht auf seinen indirekten Vorläufer eingehen, den 1961 vorgestellten Simca 1000, der viele Konstruktionsmerkmale aufweist, die später beim FIAT 850 übernommen worden sind (u.a. Getriebe und damit Linkslauf des Motors).
Kaufberatung sollte immer am/zum konkreten Objekt stattfinden, weil die o.g. Typen baujahrspezifische Mängel oder Besonderheiten aufweisen.
Rost ist immer ein großes Thema, egal welches Baujahr. Die Kathodische Tauchbad Lackierung (KTL) war damals noch ein Fremdwort. Fast alle auf dem Markt angebotenen Fahrzeuge sind mindestens einmal durchrestauriert worden, über deren Qualität noch zu befinden ist. Denn, der Fahrzeugwert dieser Bauserien hat nie eine aufwändige und wirtschaftlich vertretbare Restauration zugelassen. Das muss man einfach wissen, wenn man sich hier am Markt auf die Fahrzeugsuche begibt. Wirklich gute Fahrzeuge sind in der Regel fest in Liebhaberhand und werden am Markt nicht angeboten. Da helfen Kontakte zu den Markenclubs weiter.
Was ich in meinem Berufsleben als Kfz.-SV an 600er und 850er zur Prüfung und Bewertung vorgestellt bekommen habe, umfasst die komplette Skala der Schulnoten 2 - 6. Spachtelbomber mit ausgelutschter Technik waren in der Überzahl gewesen. Noch im letzten Jahr habe ich einen in den Niederlanden gekauften 600er begutachtet, der als Top-Modell mit einer auf den ersten Blick guten Ganzlackierung gekrönt war, aber u.a. hintere Radhausschalen aufwies, die mit Bauschaum neu modelliert worden waren, weil dem regelmäßig anbietenden und verkaufenden Konditormeister (einige von euch kennen ihn) die Handhabung eines WIG-Schweissgerätes bis in den Niederungen von Friesland nicht vorgedrungen ist. Wie die Reaktion des Käufers gewesen ist, kann ich hier nicht wiedergeben.
Also Augen auf und gut aufgepasst beim Autokauf. Nicht nur Fähnchenhändler und seriöse Oldtimerhändler haben fürchterliche Grotten in ihren Reihen stehen, auch der manchmal ganz unbedarfte Privatverkäufer weiss oft nichts über den tatsächlichen Zustand seines Schätzchens. Siehe in Oldtimer-Markt unter der Rubrik "nachgehakt".
Als nicht versierter Schrauber, ist die Wahl eines teuren Angebotes manchmal besser als das sogen. "Schnäppchen", wobei man nie vor negativen Überraschungen gefeit ist. Wirklich gute 600er oder 850er werden so ab 10K angeboten, darunter kann es nur Bastelbuden geben.
Das es z.Zt. keine Treffen und Ausfahrten gibt, bei denen die von dir gesuchten Fahrzeuge vertreten sind, kann ich so nicht bestätigen. Bei dem diesjährigen Kleinwagentreffen und "FORZA ITALIA" in Krefeld, nicht weit von dir entfernt, waren zahlreiche Fiat 600 und 850 vor Ort gewesen, siehe Foto. Die Fiat 600 Freunde Deutschland werden im September bei der Classic Gala in Schwetzingen mit einem Clubstand zahlenmäßig wieder stark vertreten sein. Dabei kann man sich die Baureihen in Ruhe ansehen und erklären lassen.
Freundliche Grüße vom Niederrhein
Klaus